Es ist selten, dass sich ein Unternehmen mit einer so reichen Geschichte immer wieder mit der Energie eines Start-ups neu erfindet. Wie schafft es Siemens, ein 177 Jahre altes Unternehmen für Industrieautomatisierung und Maschinenbau, an der Spitze zu bleiben und die Talentinnovation anzuführen? Um dies herauszufinden, traf sich Dimitri Boylan, CEO von Avature, mit Salma Rashad, EVP und Global Head of Talent Acquisition bei Siemens, in der Unternehmenszentrale in München, um über die Personal- und Organisationsstrategie (P&O-Strategie) 2030 von Siemens zu sprechen.
Von der Neupositionierung der Arbeitgebermarke als einheitliches Technologieunternehmen bis hin zur Förderung von Vielfalt und der Einbindung künftiger Generationen erläuterte Rashad, wie Siemens eine agile, qualifizierte und vielfältige Belegschaft aufbaut, die in Zeiten eines beschleunigten Wandels erfolgreich bestehen kann. Lesen Sie weiter, um mehr über die wichtigsten Transformationsinitiativen zu erfahren, die künftig die Talentgewinnung bei Siemens prägen werden.
Wirksame Veränderungen durch Zuhören vorantreiben
Mit ihrer umfassenden Erfahrung in der Talentgewinnung in verschiedenen Branchen war Rashad bestens aufgestellt, um die P&O-Strategie von Siemens voranzutreiben, als sie 2023 in das Unternehmen eintrat. Rashad erkannte zwar an, dass neue Führungskräfte oft tiefgreifende Veränderungen vornehmen, um ihre Vision zu verwirklichen, betonte jedoch auch die Bedeutung, bestehende Stärken zu erkennen, Exzellenzbereiche auszubauen und aktuelle Praktiken mit frischen Ideen weiterzuentwickeln.
Ihre erste Priorität war daher, erst einmal eine Zuhör-Tour zu machen. Dieser erfrischend menschliche Ansatz führte zu offenen Gesprächen mit zahlreichen Hiring Managern und Führungskräften aus verschiedenen Abteilungen. Dabei ging es nicht nur darum, Herausforderungen zu identifizieren, sondern auch darum, Erfolgsgeschichten und die Resilienz innerhalb des Unternehmens zu erkennen. Dieser Ansatz verankerte sie in der Siemens-Kultur und verschaffte ihr gleichzeitig die notwendigen Einblicke, um eine effektive Talentgewinnungsstrategie zu präsentieren.
Es ist wirklich wichtig, den Kontext, die Kultur und die Denkweise zu verstehen, bevor man loszieht und anfängt, Dinge zu tun und neue Ideen einzubringen. Die Zuhör-Tour war fantastisch, weil sie mir geholfen hat, viele der Bereiche zu entdecken, auf die wir nun unsere Strategie konzentrieren.“
Salma Rashad
EVP, Global Head of Talent Acquisition, Siemens
Erfolgreiche Neupositionierung durch Feedback
Neben dem aktiven Zuhören innerhalb des Unternehmens spielte das Einholen von Kundenfeedback eine entscheidende Rolle, um Lücken in der Markenbekanntheit in wichtigen Märkten zu identifizieren und einen gezielten Ansatz zur Neupositionierung von Siemens als technologieorientierte Arbeitgebermarke zu entwickeln.
Siemens hat eine lange Geschichte und Tradition, und ich denke, das macht das Unternehmen so einzigartig. Es ist nicht wirklich mit anderen Technologieunternehmen vergleichbar. Das Ziel ist heute ganz klar: Wir wollen ein Technologieunternehmen werden. Wir wollen die Größe von Siemens, die Produkte und die Innovation nutzen, um schneller zu wachsen, Innovationszyklen zu verbessern und näher an den Kunden zu sein. Das ist eine spannende Vision. Teil dieser Transformation zu sein, ist etwas ganz Besonderes.“
Salma Rashad
EVP, Global Head of Talent Acquisition, Siemens
Boylan erwähnte, dass dies keine leichte Aufgabe sei, da der durchschnittliche Verbraucher die industrielle Automatisierungstechnologie von Siemens nicht direkt erlebt. Dennoch freute sich Rashad, berichten zu können, dass die Neupositionierungsbemühungen bereits erste Früchte tragen.
Wenn wir an Siemens denken, gibt es bestimmte Assoziationen aus Konsumgütersicht. Doch durch Forschung, Fokusgruppen und viele andere Kanäle haben wir eine Veränderung in der Wahrnehmung festgestellt.“
Salma Rashad
EVP, Global Head of Talent Acquisition, Siemens
Recruiter weiterbilden für eine nachhaltige Transformation
Neben der Neupositionierung ist die Weiterentwicklung von Skills ein zentraler Bestandteil der P&O-Strategie 2030 von Siemens – mit einem Fokus auf gefragten Skills wie Geschäftssinn, KI und Daten.
Um Recruiter mit klar definierten Lernpfaden und praktischen Möglichkeiten zur Weiterentwicklung ihrer Skills zu unterstützen, hat Siemens das TA Leaders Lab ins Leben gerufen. Diese Initiative geht über das bloße Vermitteln von Kommunikationsleitlinien hinaus und befähigt Recruiter, die Werte von Siemens in ihren Interaktionen aktiv zu leben.
Es geht nicht nur darum, Botschaften weiterzugeben und zu sagen, was gesagt werden soll, sondern darum, echte Lernmöglichkeiten und Lernpfade zu schaffen, die das zum Leben erwecken.“
Salma Rashad
EVP, Global Head of Talent Acquisition, Siemens
Brücken bauen: Teamarbeit als Erfolgsfaktor
Rashad betonte, dass nachhaltige Ergebnisse nur durch Zusammenarbeit auf allen Ebenen erreicht werden können. Deshalb fördert Siemens die Abstimmung zwischen Hiring Managern und Recruiting-Teams durch Schulungsinitiativen, die Prozesse optimieren, die Kommunikation verbessern und bessere Einstellungserfahrungen für alle Akteure schaffen.
Sie hob auch die Vorteile von agilen Recruiting-Retrospektiven hervor, die Hiring Manager einbeziehen. Deren Einblicke bieten eine einzigartige Perspektive, um Recruiting-Prozesse und -Strategien für zukünftige Einstellungszyklen zu verfeinern.
Wir investieren in die Schulung von Hiring Managern. Das ermöglicht es uns, Marktdynamiken zu erklären und zu zeigen, wie ein guter Prozess aussieht. Denn manchmal, selbst wenn wir den perfekten Kandidaten finden, ist es vielleicht schon zu spät, wenn wir nur eine Woche warten. Hier muss die Zusammenarbeit mit dem Hiring Manager sehr zeitnah und eng sein. Es ist wie ein Teamsport. Es liegt nicht nur an den Recruitern, sondern auch am Hiring Manager, eng mit dem Recruiting-Team zusammenzuarbeiten, um den besten Kandidaten zu finden.“
Salma Rashad
EVP, Global Head of Talent Acquisition, Siemens
Neben der Förderung einer engen Zusammenarbeit zwischen Hiring Managern und Recruitern baut Siemens diesen Ansatz weltweit aus, indem eine Brücke zwischen dem Global Center of Excellence und den lokalen Standorten geschlagen wird. Dieser Co-Creation-Prozess ermöglicht es dem Unternehmen, Lösungen zu entwickeln, die den regionalen Bedürfnissen entsprechen und gleichzeitig übergeordnete Rekrutierungsstandards einhalten.
Ich habe in sehr hierarchischen Modellen gearbeitet, in denen die Zentrale alles bestimmt, und in anderen, die sehr dezentralisiert waren. Siemens liegt irgendwo dazwischen.“
Salma Rashad
EVP, Global Head of Talent Acquisition, Siemens
Talentstrategien mit datengestützten Erkenntnissen verfeinern
Bei der Beurteilung der Leistung von Recruitern stellte Rashad klar, dass Siemens messbare Ergebnisse priorisiert, wobei der Erfolg durch Einstellungsergebnisse und Leistungskennzahlen wie Net Promoter Scores von Hiring Managern und Kandidaten gemessen wird.
Diese Kennzahlen sind zwar branchenüblich, Siemens nutzt sie jedoch im Rahmen einer umfassenderen Strategie, um sowohl Kandidaten als auch Hiring Managern ein außergewöhnliches Erlebnis zu bieten. Es geht dabei nicht nur darum, Stellen zu besetzen – es soll auch sichergestellt werden, dass jeder Kandidat, unabhängig davon, ob er eingestellt wird oder nicht, mit einer positiven Wahrnehmung von Siemens als Arbeitgeber nach Hause geht.
Wir haben erfahrene Teams bei Siemens … Wir haben eine Reihe von Transformationen durchlaufen und konnten als Recruiting-Funktion sicherlich Ergebnisse liefern. Es passiert also viel Gutes, und es geht immer darum, wie wir aus dem Guten etwas Großartiges machen können.“
Salma Rashad
EVP, Global Head of Talent Acquisition, Siemens
Rashad räumte ein, dass das Talentgewinnungsteam von Siemens über eine Fülle von Daten verfügt, die besser genutzt werden könnten. Das volle Potenzial dieser Daten freizusetzen, könnte nicht nur die Einstellungsprozesse, sondern auch die Erfahrungen der Menschen verändern. Durch die Umwandlung von rohen Zahlen in umsetzbare Storys will Siemens seine Talentstrategien kontinuierlich verfeinern und sowohl die Leistung der Recruiter als auch die Erfahrungen der Kandidaten verbessern.
Ich denke, die besten Storys sind jene, die datengestützt sind. Wir sind sicherlich in der glücklichen Lage, über eine Fülle von Daten zu verfügen, aber manchmal sind wir nicht sehr gut darin, sie als Teil des Storytellings zu nutzen. Und hier sehe ich mein Bestreben für uns als Funktion bei Siemens, mehr aus den Daten zu machen und mit Partnern zusammenzuarbeiten, die es uns ermöglichen, die Daten zu nutzen“.
Salma Rashad
EVP, Global Head of Talent Acquisition, Siemens
Vielfalt fördern, Generationen inspirieren
Boylan hob hervor, dass der hart erarbeitete Platz von Siemens auf der Forbes-Liste der besten Arbeitgeber für Frauen 2024 eine bedeutende Leistung in einer traditionell männerdominierten Branche sei und lud Rashad ein, die DEI-Initiativen des Unternehmens näher zu erläutern.
Rashad sprach mit Überzeugung über die zahlreichen DEI-Initiativen und Mentoring-Programme bei Siemens und unterstrich das unerschütterliche Engagement des Unternehmens für Inklusion. Diese Themen seien für das Unternehmen keine Option, sondern ein Muss. Sie betonte, dass für ein 177 Jahre altes Unternehmen „die Grundlage Innovation und Agilität sein muss, und ohne Vielfalt sind wir nicht in der Lage, dies zu leben.“
Rashad fügte hinzu, dass sie das Engagement von Siemens für DEI jeden Tag persönlich erlebe. Diese Erfahrung sei noch verstärkt worden, als ihre beiden Kinder die Möglichkeit hatten, das Büro in Zürich zu besuchen.
Ich war wirklich begeistert, als ich sah, wie meine Tochter im Alter von 11 Jahren sich für KI interessieren konnte und mit verschiedenen Technologien in Berührung kam. Es ist wichtig, diese Begeisterung schon früh zu wecken, und das ist Teil der Kultur.“
Salma Rashad
EVP, Global Head of Talent Acquisition, Siemens
Die Generation Alpha einbinden
Das Gespräch ging nahtlos zur generationenübergreifenden Strategie von Siemens über. Rashad betonte, wie wichtig die Vorbereitung auf zukünftige Arbeitskräfte sei und verriet, dass das Unternehmen bereits über die Generation Alpha nachdenke.
Obwohl der gesellschaftliche Einfluss von Siemens nicht immer weithin bekannt ist, erläuterte Rashad, dass das Unternehmen „sehr darauf bedacht ist, diesen Einfluss frühzeitig zu schaffen.“ Durch die Analyse ihrer Präferenzen und Mediengewohnheiten hat Siemens frühe Einbindungsmöglichkeiten geschaffen, wie gesponserte Programmier-Camps für Kinder, um die Generation Alpha zu inspirieren und anzusprechen.
Diese frühe Exposition geht über die Talentgewinnung hinaus. Sie sät Samen der Inspiration, die Ingenieure und Innovatoren von morgen prägen können.
Eine wachstumsorientierte Denkweise annehmen
Angesichts des Generationswechsels im Management und der veränderten Erwartungen an die berufliche Entwicklung fragte Boylan, wie sich Siemens entwickelt, um den Bedürfnissen der jüngeren Generationen gerecht zu werden, die einen schnellen Karriereaufstieg erwarten und weniger bereit sind, traditionelle hierarchische Führungsstile zu akzeptieren.
Rashad erklärte, dass Siemens diesen Wandel angeht, indem eine Kultur des Entwicklungs-, Anpassungs- und Empowerments gefördert wird – Schlüsselfaktoren, um nicht nur die aktuellen Erwartungen zu erfüllen, sondern auch die Mitarbeiter mit Skills auszustatten, die sie für eine erfolgreiche Zukunft benötigen. Eine der bedeutendsten Innovationen in diesem Zusammenhang war die Transformation des Leistungsmanagement-Prozesses bei Siemens – nicht nur in Bezug auf das Format, sondern auch den Fokus und das Narrativ.
Das Unternehmen hat die formellen, jährlichen Leistungsbeurteilungen durch regelmäßige, dynamische Wachstumsgespräche ersetzt. Diese Gespräche konzentrieren sich weniger auf die Beurteilung der vergangenen Leistung, sondern mehr auf die Förderung der kontinuierlichen Entwicklung.
Das ermöglicht eine andere Art von Gespräch zwischen einem Manager und seinen Mitarbeitern. Es kann auch von der Person selbst initiiert werden. Es findet also nicht nur top-down statt – der Mitarbeiter kann selbst aktiv werden und sagen: ‚Ich möchte ein Wachstumsgespräch mit meinem Manager führen‘.“
Salma Rashad
EVP, Global Head of Talent Acquisition, Siemens
Dieser innovative Ansatz spiegelt einen breiteren kulturellen Wandel wider – weg von starren Beurteilungen hin zu bedeutungsvollen Dialogen, die sich auf Wachstum, Feedback und zukünftiges Potenzial konzentrieren. Indem Siemens den Schwerpunkt auf Entwicklung statt auf Beurteilung legt, reagiert das Unternehmen besser auf die sich wandelnden Erwartungen seiner Mitarbeiter, insbesondere der jüngeren Generationen, die offenen Austausch und Lernmöglichkeiten schätzen.
Von Betriebszugehörigkeit zu Potenzial: Die Entwicklung der Führungskultur bei Siemens
Auf die Frage nach den Eigenschaften, die die nächste Generation von Führungskräften auszeichnen würden, hob Rashad eine tiefgreifende Entwicklung innerhalb von Siemens hervor. In der Vergangenheit neigte das Unternehmen dazu, Führungskräfte mit langer Betriebszugehörigkeit und sehr spezifischen Erfahrungen auszuwählen, wobei tiefes institutionelles Wissen geschätzt wurde. Siemens verfolgt nun jedoch einen zukunftsorientierten Ansatz, bei dem das Potenzial über vordefinierte Archetypen gestellt wird.
Ich denke, wir haben uns von dem Narrativ entfernt, wie die perfekte Führungskraft aussieht, und uns mehr einer Mentalität des Wachstums und einer Kultur der Befähigung zugewandt.“
Salma Rashad
EVP, Global Head of Talent Acquisition, Siemens
Statt einer vordefinierten Laufbahn sei es wichtiger, dass die Skills der Führungskräfte mit zwei Schlüsselrollen übereinstimmen, erklärte Rashad: Die Verantwortlichen für organisatorische Transformation und technologische Innovation müssen über starke Kompetenzen in der Organisationsentwicklung und im Änderungsmanagement verfügen. Für die Tausenden von Linienführern, die den täglichen Betrieb leiten, sind Teameffektivität und Mitarbeitererfahrung entscheidend.
Rashad erklärte, dass Siemens ständig neue Beurteilungsstrategien prüfe, um Schlüsselpositionen mit den besten Mitarbeitern zu besetzen, und betonte, dass es dabei nicht nur um die Beurteilung von Einzelpersonen, sondern auch um deren Eignung für ein Team gehe.
KI und die Zukunft der Talentgewinnung
Das Gespräch zwischen Boylan und Rashad endete mit einem Thema, das in allen Bereichen der Wirtschaft aktuell ist: künstliche Intelligenz. Auf die Frage, wie das Management von Siemens mit den Ängsten in Bezug auf KI umgehe, betonte Rashad die Bedeutung geteilter Verantwortung.
Siemens investiere in verschiedenen Geschäftsbereichen intensiv in Weiterbildung und Umschulung. Internes Experimentieren spiele eine entscheidende Rolle, um das Unternehmen auf die zukünftigen Skills vorzubereiten. In diesem Zusammenhang gab sie folgenden Rat:
Fangen Sie klein an. Starten Sie nicht gleich in großem Stil, sondern finden Sie zunächst den richtigen Anwendungsfall und die richtigen Gelegenheiten, um diese Hypothesen zu testen, bevor Sie größere Investitionen tätigen.“
Salma Rashad
EVP, Global Head of Talent Acquisition, Siemens
Am Ende des Gesprächs war klar, dass die Herangehensweise von Siemens an die P&O-Strategie nicht nur strategisches Denken widerspiegelt, sondern auch ein tiefes Engagement für seine Mitarbeiter. Durch die Förderung einer Kultur des Experimentierens, der Zusammenarbeit, der Vielfalt und des Wachstums befähigt Siemens seine Belegschaft, in einer sich schnell verändernden Welt innovativ, anpassungsfähig und führend zu sein.
In einer Welt, in der die Technologie die menschliche Anpassungsfähigkeit oft zu überholen scheint, erinnert der Ansatz von Siemens daran, dass Fortschritt nicht nur eine Frage der Innovation ist. Es geht darum, die Menschen mit auf die Reise zu nehmen und ihnen zu helfen, die sich daraus ergebenden Chancen zu nutzen.